Reha-Werkstatt ist „eine Rampe ins Arbeitsleben“

Für Kai Menger, Maria Michler und Stefan Schmidt ist die Arbeit in der Reha-Werkstatt von großer Bedeutung. (Fotos: Schneider)

Haiger (red). Was macht Arbeit normal? Was bedeutet Barrierefreiheit für Menschen mit psychischen Erkrankungen? Was können andere Betriebe von uns lernen? Mit Fragen wie diesen setzen sich seit über einem Jahr Beschäftigte der Reha-Werkstatt in Haiger auseinander. „Unsere Werkstatt“ heißt die Arbeitsbegleitende Maßnahme (ABM),  die Gesellschaft, Politik sowie äußere und innere Wahrnehmung gleichermaßen unter die Lupe nimmt.

„Wie oft gehst du dahin?“ Eine Frage, die Maria Michler schon oft gehört hat.
„Jeden Tag von 8.15 Uhr bis 15.45 Uhr. Das ist meine Arbeit, nicht meine Freizeitbeschäftigung.“
Oder auch: „Da haben sie dich hingesteckt?“
„Keiner hat mich dahingesteckt. Ich gehe da freiwillig hin, und jeden Tag mit mehr Begeisterung.“
Maria Michler ist chronisch depressiv. Aufgrund dieser Erkrankung konnte sie auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht mehr bestehen. In der Reha-Werkstatt hat sie eine neue berufliche Heimat gefunden. „Hier kann ich offen sagen, wenn es mir schlecht geht und ich nicht so leistungsfähig bin wie sonst, aber ich werde nicht in Watte gepackt. Das möchte ich auch gar nicht.“

 Jeder vierte Deutsche wird im Laufe seines Lebens behandlungsbedürftig psychisch krank. Eine Volkskrankheit. „Und dennoch eine, die nach wie vor mit Stigmata versehen ist“, wie Einrichtungsleiterin Monika Mundt sagt. Die Beschäftigten in der Reha-Werkstatt gelten durch ihre Krankheit als voll erwerbsgemindert. „Dennoch sind es Menschen mit normaler Intelligenz und hoher Leistungsbereitschaft“, so Mundt. „Die Arbeit hier wird außen oft noch als Beschäftigungstherapie wahrgenommen, was sie aber keinesfalls ist. Wir haben was drauf, wir stellen was dar. Hier gelten gleiche Faktoren wie in anderen Betrieben: Arbeitszeit, Tätigkeit, Lohn und Liefertermine. Der Unterschied: Wir bemühen uns, die Arbeit an die Mitarbeiter gemäß ihrer Fähigkeiten und Interessen anzupassen.“

Die Dillenburger Werkstätten sind als Produktionsstätten angesehener Partner der Industrie. Die Reha-Werkstatt Haiger ist einer von insgesamt fünf Standorten. Neben der industriellen Fertigung für rund 25 heimische Unternehmen sind die dortigen Mitarbeiter in den Bereichen Sandstrahlerei, Internetgebrauchtbuchhandel, Lager, Küche oder in Außenarbeitsgruppen des Dorfladens in Donsbach, des Wildparks Donsbach und der Stadtbücherei Haiger beschäftigt. „Unsere Werkstatt ist eine Rampe ins Arbeitsleben“, betont Mundt. „So wie es für jeden individuell möglich ist. Für unsere Beschäftigten stellt der erste Arbeitsmarkt eine Barriere dar, unsere Werkstatt dagegen eine Form von Barrierefreiheit.“

Barrierefreiheit – ein spannendes Thema aus der Sicht eines psychisch Erkrankten, darin sind sich alle Teilnehmer des ABM-Kurses einig. Denn: Psychische Erkrankungen sind nicht zwangsläufig offensichtlich, anders als bei körperlichen Beeinträchtigungen.  „In unserer Werkstatt bieten wir diesen Menschen eine Nische. Genesung ist nicht unser Auftrag, auch wenn der Name Reha-Werkstatt vielleicht missverständlich gewählt ist. Unsere Aufgabe ist es hier, Stabilität und Perspektiven zu schaffen“, erklärt Mundt.

Wie sähe mein Leben ohne die Reha-Werkstatt aus? Eine der weiteren Fragen, mit der sich die Teilnehmer befassen. „Meine sozialen Kontakte wären eingeschränkt.“ „Ich wäre arbeitslos.“ „Meine psychische Verfassung wäre wesentlich instabiler.“ Antworten wie diese tragen die Beschäftigten zusammen und finden umgehend Gründe dafür, was die Werkstatt als Arbeitsplatz für sie wertvoll macht. „Hier wird Verständnis für die Erkrankung gezeigt“, sagt Stefan Schmidt. „Und dennoch wird sie nicht zum großen Thema gemacht, sondern spielt im Arbeitsalltag eine untergeordnete Rolle.“  Vielseitige Arbeitsbereiche, Eigenverantwortung und Motivation sind weitere Aspekte, die die Gruppe aufzählt.

Und: Begegnungen. Der Reha-Werkstatt ist es ein großes Anliegen, Begegnungen zu schaffen, um Vorurteile abzubauen. Kooperationen wie mit Outokumpu durch die Ausbildungswerkstatt oder der Johann-Textor-Schule durch den Wahlpflichtkurs „Andere Lebenswelten“ tragen ihren Teil dazu bei, Berührungsängsten entgegenzuwirken. „Die Schüler geben uns oft die Rückmeldung, dass sie immer sehr gern hierher kommen“, erzählt Kai Menger. Besuchergruppen bekommen regelmäßig Führungen durch die Werkstatt.  „Wir möchten die Gesellschaft dazu ermutigen, die Schwellenangst zu überwinden“, so Mundt.

Neben gesellschaftspolitischen Aspekten diskutieren die ABM-Teilnehmer auch ganz praktische Themen, die den Alltag ihres Arbeitsumfeldes optimieren – etwa eine neue Pausenregelung, die lange Warteschlangen am Kiosk vermeidet und bereits umgesetzt wurde.  „Unsere Werkstatt“ beleuchtet Dinge, die Menschen mit psychischen Erkrankungen direkt betreffen, und gibt dabei gesellschaftlich wertvolle Innensichten und Blickwinkel. „Der Blick auf unsere Werkstatt hat sich auch bei mir selbst durch diese ABM verändert“, erklärt Menger. „Ich habe zum Beispiel erfahren, wie wichtig die Rolle unserer Gruppenleiter ist. Durch sie fällt uns das Arbeiten leichter.  Sie sind für uns Organisatoren, Puffer – etwa bei zeitlichem Druck – und Vertrauensperson, alles in einem.“   Die Reha-Werkstatt sei wie ein großes Getriebe, ergänzt Michler. „Und durch jeden Einzelnen hier wird dieser Motor am Laufen gehalten.“