Lebenshilfe produziert „Lebensurne“

„Eine tolle lokale Lösung und eine sinnstiftende Aufgabenentstehung“: die Kooperation zwischen Florian Engelhardt (l.) und Silke Metz von Urnitas.com mit Torsten Breser von der Reha-Werkstatt Haiger. (Foto: Holtfoth)

Dem geliebten Vierbeiner nach seinem Tod ein würdiges Andenken bereiten – darauf ist Urnitas.com spezialisiert. Der Onlineshop bietet Tier-Urnen in den unterschiedlichsten Größen, Formen und Farben an. Ein Modell ist die „Lebensurne“ – produziert von Menschen mit psychischen Behinderungen, die in der Reha-Werkstatt in Haiger beschäftigt sind.

„Als wir die Anfrage erhielten, eine Urne herzustellen, wussten wir erst einmal gar nicht: Wie machen wir das eigentlich?“, blickt Torsten Breser, Gruppenleiter im Berufsbildungsbereich der Einrichtung, zurück. Es folgten Monate des Werkelns und Ausprobierens. Und zwischendurch auch der Frustration.

Die Reha-Werkstatt in Haiger betreibt seit Jahren eine Kollektion unter dem Namen „Zweites Leben“. „Wir schöpfen zum Beispiel Papier aus alten Buchseiten und hauchen so ausrangierten Dingen neues Leben ein“, erklärt Breser. Dieser Gedanke sollte sich auch in den Urnen widerspiegeln. Doch die Umsetzung gestaltete sich schwierig. Zwei Beschäftigte der Werkstatt versuchten sich zunächst an Pappmaché – „mit dem Ergebnis, dass das Material nach drei bis vier Tagen nach totem Fisch stank“, stöhnt Breser bei der Erinnerung. Es wurde geformt, es wurde gepresst, es wurde geföhnt. Es verging ein halbes Jahr, bis die perfekte Mischung aus Wasser, alten Buchseiten und Mehl als Bindemittel gefunden war – in Form gebracht mithilfe eines Weckglases. „Jede einzelne Urne sieht ein bisschen anders aus, was am Trocknungsverhalten liegt“, so Breser. Ungefähre Höhe: 18 Zentimeter, ungefährer Durchmesser: zwölf Zentimeter.

Aleksander Buk (l.) und Christian Liebig zeigen die Produktion der Tierurne. (Foto: Batilovic)

„Das ist echte Handarbeit, nichts von der Stange“, sagt Florian Engelhardt, Geschäftsführer der Urnen-Plattform. Er kam bei einem Besuch auf dem historischen Kölner Melatenfriedhof auf die Idee, Urnen online anzubieten. „Vorne waren die großen Grabanlagen, hinten raus immer mehr Urnen, richtige Themenparks.“ Daraufhin habe er recherchiert, sich mit der Bestattungskultur in Deutschland auseinandergesetzt und einen enormen Anstieg an Feuerbestattungen festgestellt. Der Bedarf ist seiner Meinung nach groß, die Transparenz und Aufklärung seien jedoch ausbaufähig. Also entwickelte er die Plattform, auf der er seit 2017 Urnen von ausgesuchten Herstellern anbietet. Tausende verschiedene Modelle stehen dort zur Auswahl. Zunächst beschränkte sich das Angebot auf Humanurnen, ein Jahr später wurde es um Tierurnen ergänzt. Hund, Katze und Meerschweinchen sind dabei die gängigen Tierarten, für deren Asche die Besitzer eine solche letzte Ruhestätte auswählen. Es gab aber auch schon kuriosere Anfragen, wie Projektleiterin Silke Metz erzählt: „So hat uns beispielsweise einmal ein Zirkus kontaktiert und gefragt, ob wir eine Urne für die Asche seines Elefanten hätten. Solche Größenordnungen haben wir nicht. Aber Pferde wären zum Beispiel machbar.“

Mittlerweile verkauft Urnitas.com täglich zahlreiche Urnen im deutschsprachigen Raum – Tierurnen deutlich mehr als Humanurnen. Der Tod scheint nach wie vor für viele ein Tabuthema zu sein, bis er das eigene Umfeld betrifft. „Mit unserem Webshop wollen wir auch ein bisschen sensibilisieren“, so Engelhardt. Dass die Lebenshilfe Dillenburg mit ihrer Werkstatt als Partner gewonnen werden konnte, sei eine „tolle lokale Lösung und eine sinnstiftende Aufgabenentstehung“.

Viele Versuche bis zum fertigen Produkt. (Foto: Holtfoth)

Auch Breser ist glücklich über die Kooperation: „Das hier ist ein außergewöhnliches und spannendes Thema. Und gerade wir als Werkstätten für Menschen mit Behinderungen kämpfen leider immer noch mit vielen Klischees. Dabei ist das, was wir machen, richtige und hochwertige Arbeit.“

Der Name „Lebensurne“ wurde von Engelhardt sehr bewusst gewählt.  In Anspielung auf Lebenshilfe, aber auch auf die Bedeutung „Zweites Leben“ gemünzt. Denn: Dieses Modell wird mit keinem Deckel verschlossen. Stattdessen wird die Urne zusammen mit der Asche des Tieres mit Erde befüllt und mit einem Baum bepflanzt. Zur Auswahl stehen Buche, Tanne oder Buchsbaum, die die Baumschule Wilfried Werner aus Breitscheid im Preis von 79 Euro inbegriffen zur Verfügung stellt. Daraufhin lässt sich die Urne in der Erde oder einem Pflanzkübel vergraben. Durch ihre biologisch abbaubaren Materialien zersetzt sie sich im Boden. Neben der Urne produziert die Reha-Werkstatt zudem Kondolenzbücher, die über Urnitas.com angeboten werden.

„Das Projekt ist eine Herzensangelegenheit, bei der viele schöne Dinge zusammengefunden haben“, sagt Engelhardt abschließend. „Es wäre schön, wenn es sich ein bisschen durchsetzen könnte.“